Giuseppe Pino Tradigo (18.4.1928 – 4.10.2023)

Der gebürtige Mailänder lernte die Spiritualität durch Alfredo Zirondoli (Maras) kennen, der in Pisa sein Professor in Anästhesiologie war. Seinen zweiten Facharzt machte Pino als Zahnarzt. 1955 trat Pino ins Fokolar in Trient ein und gehörte im Herbst 1961 zur Gruppe der ersten Ärzte, die Chiara Lubich in die DDR schickte. Ein Jahr wartete Pino in West-Berlin auf seine Einreisegenehmigung und war dann 14 Jahre in der DDR.

Wolfram Zilske, der erste Fokolar aus Ostberlin, erinnert sich: „Im September 1962 traf ich ihn zufällig im St. Hedwig-Krankenhaus in Ostberlin-Mitte. Seitdem trafen wir uns regelmäßig. Im Herbst 1962 kam Heinz Wezel dazu. Er und ich wohnten im Don-Bosco-Heim auf einem Zimmer. 1964 bauten wir in der Sophienstraße ein Jahr lang eine schwer vermietbare und kaputte Wohnung aus. Ab Januar 1965 trafen wir uns dort, während wir uns vorher im VW-Käfer Pinos oder im Park getroffen hatten.“

Bei der Hochzeit ihres Bruders Heinz hatten Franz und Peter Wezel Pino 1965 kennengelernt und nahmen ab 1967 Kontakt auf. Franz Wezel (Fokolar Augsburg) erinnert sich: „Seither hat uns Pino nicht mehr aus den Augen gelassen. Die Besuche im Fokolar waren für uns vom ersten Augenblick an besondere Momente. Wir hatten oft den Eindruck, in einer Kirche gewesen zu sein. Es war Jesus in der Mitte, den wir noch nicht kannten. Zurzeit der ersten Begegnungen wussten wir absolut nichts von der Bewegung, geschweige von einer Spiritualität. Es war einfach schön mit Pino.“

Seine Beziehung zu Chiara Lubich war einfach und intensiv. So schrieb er ihr 1962 vom „Schmerz der Trennung“, den er empfand, bot ihr diesen aber auch als Beitrag an. Sie hatte ihm den neuen Namen „Gioia – in Erinnerung an Giovanni (Johannes) und Maria“ gegeben, der aber auch „Freude“ bedeutet. Als in der Liturgie die Stelle des Evangeliums kam, in der Jesus seinen Jüngern wünschte, dass „eure Freude vollkommen ist“, hat Pino spontan Chiara geschrieben. Ein anderes Bespiel für die Unmittelbarkeit der Beziehung war auch als Chiara ihm 2000 für sein Buch „Vier Probleme der Philosophie“ dankte, das er ihr geschickt hatte.

Pino war tief geprägt vom Ideal, menschlich anspruchslos, sparsam und auf das Notwendige ausgerichtet. Er besaß eine gute Menschenkenntnis. Grundehrlich und aufrichtig vertrug er keine Verstellungen. Menschliche Denkweisen durchschaute er schnell und korrigierte direkt.

An seinen freien Tagen war Pino viel unterwegs – Stendal, Neuruppin, Wolgast, Schwerin … So hat er Kontakte gepflegt und Mecklenburg-Vorpommern gewissermaßen „erobert“. Franz Wezel: „Die meisten Menschen waren evangelische Christen. Besonders zu ihnen fühlte er sich hingezogen. Meine Geschwister, kirchenfern, waren stolze Freunde von Pino. Noch heute sprechen sie von ihm. Er konnte mit seiner Art erobern. Auch wenn die Sprache sehr, sehr originell war, jeder hat ihn verstanden. Ich fragte ihn einmal, wie es denn so wäre, das schöne Italien zu verlassen, alles aufzugeben … Seine Antwort: ‚wer Mutter, Vater, Häuser, Autos um seinetwillen verlässt, wird alles 100fach zurückbekommen. Schau mal, ich habe hier viele Brüder, Schwestern und Mütter bekommen. Häuser, Autos, ich kann gar nicht alles nutzen.“

Von der DDR aus war Pino auch in anderen Ländern des damaligen Ostblocks unterwegs. So erinnern sich Menschen aus der damaligen Tschechoslowakei noch sehr lebendig „an jenen unvergesslichen Moment bei einer Mariapoli, als Pino uns von Jesus dem Verlassenen erzählte. Danach lud er uns ein, in die Kirche zu gehen und ihm unser Ja zu sagen.“

Die Zeit in der DDR und das Leben „hinter dem Eisernen Vorhang“ verlangten Pino auch viel ab: Vor jedem Grenzübertritt hatte er Angst; ließ sich das aber nicht anmerken. Der ständige Druck steigerte sich zu grundsätzlichem Misstrauen und im Laufe der Jahre zu einem zunehmenden Verfolgungswahn.

1977 ging Pino zurück nach Italien, danach in die Fokolare in Zürich, Lugano, Grottaferrata und kehrte schließlich mit 70 nach Deutschland zurück, wo er zunächst in Augsburg, dann in Mering lebte und zum Fokolar in Ottmaring gehörte. Als Mailänder gefiel ihm die deutsche Ordnung und Zuverlässigkeit.

Im Lauf der Jahre stellten sich weitere gesundheitliche Einschränkungen ein, und er konnte nicht mehr allein leben. So zog er ab 2019 in eine Fokolargemeinschaft in der Nähe von Rom um. Am 4. Oktober fühlte er sich nach dem Mittagessen nicht wohl und legte sich hin. Gegen 17 Uhr war er eingeschlafen.

Ein Beitrag von Franz Wezel und Wolfram Zilske; Redaktion Gabi Ballweg; Foto: privat