Zur italienischsprachigen Schweiz gehört neben dem Tessin auch ein Teil des Kantons Graubünden. Für die Strecke zwischen Lugano (Tessin) und Poschiavo (Graubünden) benötigt man etwa drei Stunden im Auto. Seit einigen Jahren haben wir Freiwilligen aus dem Tessin es uns zur Regel gemacht, einmal im Jahr unsere Freunde, die Freiwilligen von Poschiavo, zu besuchen.

Am frühen Morgen des 4. Mai verließen 16 von uns das Tessin, und am frühen Nachmittag trafen wir uns im Tagungsraum des Hotels Suisse, in dem wir untergebracht waren. Zu uns gesellten sich ebenso viele Freunde aus dem Valposchiavo, und gemeinsam ließen wir uns von Texten aus dem Buch „Un annuncio che cambia la vita“ (Eine Botschaft, die das Leben verändert) inspirieren. Im Licht des Evangeliums und des Ideals von Chiara Lubich kam es zu einem tiefen Austausch von Erlebnissen und Lebenserfahrungen.

Zur Einheit aller Menschen beizutragen, ausgehend von den kleinen alltäglichen Dingen, ist die Herausforderung, der wir uns gemeinsam stellen wollen.

„Kleine mobile Kirchen“ lautete der Titel des Textes, den wir betrachtet haben: Vom Erleben dieser Form von Kirche, die von Menschen mit Jesus in ihrer Mitte gebildet wird, haben wir einander berichtet; eine Fülle von Erfahrungen der Geschwisterlichkeit mit dem Blick zum Himmel!

Dann haben wir das „Wort des Lebens“ für den Monat Mai gelesen: „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe“ (1 Johannes 4,8), und – wie es überall auf der Welt geschieht – tauschten wir uns darüber aus, was in unseren Herzen zum Vorschein kam. 

Beim Abendessen im Hotelrestaurant haben wir die Gespräche fortgesetzt, die in manchen Fällen nicht enden wollten. Mehrfach hieß es dann: „Nur noch fünf Minuten“ – so gut ging es uns miteinander.

Diese Freude war von den ersten Momenten an zu spüren, schon in jedem der vier Autos, während der Fahrt nach Poschiavo und im weiteren Verlauf des Tages, so dass eine Atmosphäre der Einheit entstand, die auch spontane Begegnungen ermöglichte. Die Erfahrung vieler Jahre des Lebens im Ideal hat uns gezeigt, dass nicht alles bis ins Detail vorbereitet und strukturiert werden muss. Wie kostbar sind doch die Momente mit den Menschen, die Gott uns an die Seite stellt.

So nahmen sich einige die Zeit für einen Rundgang durch das Dorf und besuchten das Kloster, andere besuchten Freunde, die das Haus nicht verlassen konnten oder im Krankenhaus lagen.

Am Sonntagmorgen, nach dem Besuch der Heiligen Messe, gab es auf Initiative von Aldo eine spontane Führung durch das Beinhaus und die Kirche St. Anna, bevor es zum Mittagessen ging, ein weiterer Moment der Geselligkeit und des tiefen persönlichen Dialogs. Schon aus dem Evangelium wissen wir wie sehr es das gemeinsame Essen erleichtert, einander zuzuhören. So war es auch bei uns.

Am Nachmittag traten alle wieder die Heimreise an, nahmen Erlebtes mit, um es zu teilen.

Inzwischen haben wir bereits Echos von verschiedenen Teilnehmenden erhalten: Einige fühlten sich ohne Vorurteile willkommen geheißen und sagten, sie seien überrascht gewesen, keine „langen Gesichter“ gesehen zu haben, was in unseren Breitengraden nicht selbstverständlich sei; einige fühlten sich im Geist gestärkt und kehrten glücklich nach Hause zurück; einige sagten uns, sie hätten die Begegnung als Neuanfang erlebt; einige, die konkrete Vorsehung erfahren hatten, haben auf ebenso konkrete Weise zur Finanzierung der Begegnung beigetragen; diejenigen, die ausriefen: „Endlich treffen wir uns wieder“ und Momente der Freundschaft mit denen genossen, die seit vielen Jahrzehnten das gleiche Ideal der Einheit teilen; die Entdeckung, dass wir eine Familie sind, obwohl wir uns so selten sehen, war ein Zeugnis dafür, dass wir alle Brüder sind, wo zwei oder mehr sich im Namen Jesu treffen.

Bis zum nächsten Mal, liebe Freunde aus Poschiavo; wir freuen uns auf das Wiedersehen!

Beitrag und Fotos von Emilio Devrel.