Zum 7. Dezember schrieb Pater Fabio Ciardi OMI, Experte für Theologie des gottgeweihten Lebens, Gedanken zur Hingabe Chiara Lubichs. Auszüge
Es war kein Gelübde, es war ein „Flug“. Ein kühner Flug wie der von Charles Lindbergh, als er zum ersten Mal ohne Zwischenstopp über den Atlantik flog. „Hast du deine Berufung gefunden?“, fragte der Priester Chiara, als sie freudestrahlend aus dem Wallfahrtsort Loreto zurückkam, wo in der Basilika das Haus von Nazareth vermutet wird. „Ja“, antwortete sie einfach. „Heiratest du?“ „Nein.“ „Gehst du ins Kloster?“ „Nein.“ „Bleibst du ehelos in der Welt?“ „Nein.“ Der erstaunte Priester hatte keine weiteren Alternativvorschläge. Es war ein vierter Weg, den Chiara Lubich vor sich sah, auch wenn sie nicht genau wusste, wie er aussah. Es war ein neuer Weg, den es kühn und mutig zu gehen galt.
Einige Jahre später spürte sie den Anruf: „Schenk dich ganz mir!“ Wie und wo spielte keine Rolle, wichtig war nur, auf diesen Ruf zu antworten. Allein der Gedanke, sich ganz Gott zu schenken, erfüllte sie mit Freude. „Wenn du diesen Weg gehst, wirst du keine eigene Familie haben“, sagte der Priester, „du wirst keine Kinder haben und ganz allein bleiben …“ Solange es einen Tabernakel auf Erden gibt, dachte Chiara im Stillen, werde ich nie allein sein. (… ) In diesem Moment dachte Chiara weder an das, was sie zurückließ, noch an das, was sie dafür bekommen würde. Sie wusste einzig und allein, dass sie Gott heiraten wollte, keinen Geringeren.
Der Priester sah, dass die junge Frau, obgleich erst 23 Jahre alt, einen so kühnen Schritt vollziehen konnte. Sie war fest entschlossen und wusste, was sie wollte. (…)
Am frühen Morgen zog sie ihr schönstes Kleid an. Die Armen – zu denen auch Chiara gehörte – besaßen immer ein Festtagskleid. Draußen stürmte es, fast als wollte jemand sie von einem solchen kühnen Schritt zurückhalten. Sie stellte sich entschlossen dem Wind und Regen entgegen. In der Kapelle war sie erneut von Stille umgeben. Dann die Messe, die Kommunion und ihr volles, ausschließliches Ja für immer. Eine Träne lief, denn Chiara war sich bewusst, dass mit diesem Schritt eine Brücke hinter ihr zusammenbrach und es kein Zurück mehr gab. Doch vor ihr lag das ganze Leben. Sie hatte Gott geheiratet und erwartete sich alles von ihm.
Das war am 7. Dezember 1943.
Dies ist 80 Jahre her. Chiara Lubich blieb nicht allein. Der Bräutigam nahm sie mit auf eine Reise, auf der er ihr den Himmel erschloss und sie an dessen Schönheit teilhaben ließ, wie sie später selbst bekannte: „Mein vielgeliebter Bräutigam, viel zu schön ist der Himmel, und als ein göttlicher Geliebter zeigst du mir nach der mystischen Vermählung … deinen ganzen Besitz, der mein ist. (…) Mein Gott, warum nur? Warum mir all das? Wozu so viel Licht und so viel Liebe?“.
Um Chiara herum ist eine große Familie entstanden von Menschen aller Kontinente und Berufungen, vieler Kulturen und Religionen. Ihr „Ja“ hat Frucht gebracht, denn Gott lässt sich nie an Großzügigkeit übertreffen.
Nach 80 Jahren hat sich dieses „Ja“ vervielfacht. Es erklingt auch heute noch auf tausenderlei Weise. Stürme toben, die Zukunft erscheint unsicher, der „Flug“ gleicht einem Sprung ins Dunkel, die Angst lähmt … Und doch richtet sich dieser Ruf weiterhin an viele, manchmal leise, manchmal laut: „Schenk dich ganz mir“. Auf welche Weise, das entdeckt jeder und jede mit der Zeit. Doch jeder Anruf erfordert zunächst ein großzügiges „Ja“. Es kann ein zögerliches, schüchternes oder entschlossenes „Ja“ sein, ein leises oder ein starkes „Ja“ … Es reicht, dass es aufrichtig und authentisch ist … So wird Gott weiterhin in der Welt gegenwärtig, um seine Geschichte zu schreiben, die im Himmelreich vollendet wird.