Aus den Nachrichten ist der Anschlag von Solingen schon fast wieder verschwunden, allenfalls einige politische Auswirkungen werden thematisiert. Die Menschen in Solingen werden jedoch noch lange unter den Folgen leiden. Einige unserer Leute berichten.
Der Anschlag war gerade erst geschehen, da mobilisierten schon rechts- und linksextreme Kräfte, um ihre Hassbotschaften zu verkünden. „Bei der ersten Trauerfeier stand ich mit meinen muslimischen Freundinnen zusammen, gemeinsam in Trauer und Sorge. Wie absurd, dass wir „bestraft werden“, weil der Westen angeblich gegen Palästinenser ist.“ So erzählt Ursula Dörpinghaus, die seit Jahren in der Stadt politisch aktiv ist, für Integration, Respekt und Verständigung wirbt, wo immer sie kann. „Wir versuchen, mit möglichst vielen Menschen in Kontakt zu sein, ihnen nahe zu sein, gemeinsam zu trauern.“
Das Ehepaar Dörpinghaus ist auch mit den Menschen in Kontakt, die in der ersten Reihe stehen und Entscheidungen treffen müssen. Dem Oberbürgermeister sandten sie einen Gruß mit der Zusicherung von Unterstützung und Gebet. Er antwortete umgehend. Die Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises meldet sich mit der Ankündigung, in der Stadtkirche am Fronhof (dem Platz des Attentates) einen Gottesdienst anzubieten – der Täter war noch nicht gefasst, es gab keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Gemeinsam beschloss man, es zu wagen – und viele Hundert Menschen kamen, um gemeinsam still zu werden, zu trauern und zu beten.
Illes Hertwich aus dem Frauenfokolar schreibt: „Diese Tage sind in unserer Stadt geprägt von großem Schmerz und Trauer, aber auch von Aufbegehren. Wir haben uns immer wieder gefragt, wo wir jetzt gefragt sind, was wir tun können. Und welche Zeichen wir setzen können, um nicht in eine menschenfeindliche, menschenunwürdige Instrumentalisierung durch aufgeheizte Kundgebungen zu geraten. Im Kontakt mit anderen Gruppierungen unserer Zivilgesellschaft, mit Politikern und den Vertretern der Kirchen zeigte sich sehr schnell, dass es Zeit und Raum braucht, um das Geschehene zu verarbeiten.
Aushalten, innehalten, zusammenhalten: … den Schmerz der Menschen neben uns, all das, was nicht Friede und Freude ist, die Mühsal, die Schicksalsschläge teilen, in all den Beziehungen, in denen wir alle eingebunden sind.“
Ursula bestätigt dies: „Ich gehe häufig in die Stadtmitte. Die Aktion ‚Bunt statt Braun‘ z.B. ruft dazu auf. Hingehen, stehen bleiben, still bleiben und Platzhalter sein. An der Stelle, an der ich stehe, kann niemand stehen, der Hass und Gewalt predigt. Manchmal haben wir Kerzen in den Händen, um der Dunkelheit ein Licht entgegenzuhalten.“
Ein Wort von Dietrich Bonhoeffer ist der Kern ihres Lebens im aktuellen Moment: „Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.“
In der Stadt herrscht, abgesehen von den lautstarken Extremisten, eine bleierne Ruhe. Alle Feste und Feiern sind abgesagt, auch in den umliegenden Städten. Auf dem Mühlenplatz spielt der Pianist Davide Martello ruhige Musik. Alle Kirchen und Gotteshäuser sind rund um die Uhr geöffnet, Notfallseelsorger sind unterwegs.
Caro vom Zentrum Frieden: „Manchmal fühle ich mich wie in einem Traum und ich muss mich zwicken, damit ich realisiere, dass dies tatsächlich hier passiert ist. Es wird noch Zeit brauchen, bis wir wieder richtig Luft holen und eine Antwort auf das Attentat geben können. Dann werden wir bestimmt auch das Zentrum Frieden öffnen, wann und wie auch immer….“
Versprechen wir „unseren“ Solingern, dass wir diese Gedanken mit ihnen teilen, für sie beten und uns vor Ort mit aller Kraft für den Frieden einsetzen.
Siehe auch den
Das „Wort zum Sonntag“ im deutschen Fernsehen brachte am Tag nach dem Anschlag in Solingen einen Beitrag (4 Minuten), in dem auch unser „Zentrum Frieden“ erwähnt wurde:
Ein Beitrag von Ulrike Comes. Fotos von Illes Hertwich und Ursula Dörpinghaus.