Kulturelle Erneuerung, Integration der Bevölkerungsgruppen, Förderung der Menschenwürde, nachhaltige Entwicklung – das sind nur einige der Herausforderungen, denen sich die Kirche und mit ihr die Fokolar-Bewegung in dieser für die Menschheit so wichtigen Region stellen müssen. Anlässlich der Reise von Margaret und Jesús gibt uns Stefania Tanesini in ihrem Artikel einen Einblick in diese abgeschiedene Region unseres Planeten.
Juruti im Bundesstaat Parà ist von Santarém aus in sieben Stunden mit dem Motorboot, dem schnellsten Verkehrsmittel, zu erreichen. Die Einwohner sind stolz darauf, dass dieses Gebiet das Herz des unteren brasilianischen Amazonasgebiets ist, wo die einzige „Verbindungsstraße“ der Amazonas ist, das „Fluss-Meer“, wie die Einheimischen es nennen. Er ist der zweitlängste Fluss der Welt und der größte, was das Wasservolumen angeht. Er prägt die Zeit, das soziale Leben, den Handel und die Beziehungen zwischen den rund 23 Millionen Einwohnern dieser riesigen Region, in der 55,9 % der indigenen Bevölkerung Brasiliens leben. Es handelt sich um eines der wertvollsten Ökosysteme der Erde, und doch sind politische und wirtschaftliche Interessen die Ursache für Konflikte und Gewalt, die täglich zunehmen. Hier steht die Schönheit der Natur und die Probleme des Überlebens und der Lebensqualität bilden einen eigentümlichen Kontrast.
„Care“ (sich kümmern, Verantwortung übernehmen), das Schlüsselwort für den Amazonas
Margaret Karram und Jesús Morán, Präsidentin und Kopräsident der Fokolar-Bewegung, Bernadette Ngabo und Ángel Bartol vom Internationalen Zentrum sowie Marvia Vieira und Aurélio Martins de Oliveira Júnior, nationale Ko-Verantwortliche der Bewegung, kamen, um die Fokolar-Gemeinschaften der Region kennenzulernen und einige Tage mit ihnen zu verbringen. Sie wurden von Bernardo Bahlmann O.F.M., dem Bischof von Óbidos, empfangen. Er sagte: „Beobachten und Zuhören ist das Erste, was wir im Amazonasgebiet lernen können.“
Er sprach von der vielschichtigen Kultur dieses Landes, in dem indigene Charakterzüge mit Aspekten der westlichen Welt koexistieren. „Das gesellschaftliche Zusammenleben bringt viele Herausforderungen mit sich: Armut, mangelnde Achtung der Menschenrechte, Ausbeutung von Frauen und Zerstörung des Waldbestandes. Man muss verstehen, was es bedeutet, den Reichtum dieses Landes, seine ursprünglichen Traditionen, die Schöpfung und die Einzigartigkeit eines jeden Menschen zu bewahren und gemeinsam einen neuen Weg zu einer stärker integrierten Kultur zu finden“, sagte er.
Santarém, wo die Kirche von Laien getragen ist
Ireneu Roman, Bischof der Erzdiözese Santarém, ergänzte, dass dies „eine unmögliche Aufgabe ohne die Beteiligung der Laien wäre. Sie sind die wahre Stärke der Kirche im Amazonasgebiet“. In den Pfarrgemeinden gibt es etwa tausend Katecheten. Sie unterstützen die christliche Ausbildung, die Liturgie des Wortes und soziale Projekte. Bischof Roman bat die Fokolar-Gemeinschaft im Amazonasgebiet, ihren spezifischen Beitrag zu leisten: „Einheit in den kirchlichen Strukturen und in der Gesellschaft, denn was dieses Land am meisten braucht, ist die Wiederentdeckung der Gemeinschaft“.
Die Präsenz der Fokolare und das Amazonasprojekt
Auf Anfrage von Bischof Bahlmann kam 2020 das erste Männerfokolar nach Óbidos, und vor sechs Monaten wurde in Juruti ein Frauenfokolar eröffnet. Heute gibt es im Amazonasgebiet sieben Fokolare, darunter eine Ärztin, zwei Priester, eine Psychologin und eine Wirtschaftswissenschaftlerin.
Marvia Vieira und Aurélio Martins de Oliveira Júnior erklärten: „Wir sind im Amazonasgebiet, um die große Missionsarbeit zu unterstützen, die die Kirche mit den indigenen Völkern leistet. IEine der Leitlinien der brasilianischen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2003 regt an, die Präsenz der Kirche im Amazonasgebiet zu verstärken, da die Weite des Gebietes und der Mangel an Priestern eine angemessene geistliche und menschliche Hilfe erschwerten.“
So entstand vor 20 Jahren das „Amazonas-Projekt“, bei dem Mitglieder der Fokolar-Bewegung aus ganz Brasilien für einen bestimmten Zeitraum an Orte reisen, die sie in Absprache mit den Diözesen ausgewählt haben, um dort Evangelisierung, Schulungen für Familien, Jugendliche, Heranwachsende und Kinder, medizinische und psychologische Besuche, zahnärztliche Betreuung und mehr durchzuführen.
Edson Gallego, ein Fokolarpriester aus Óbidos und Gemeindepfarrer, sagte uns: „Sicher werden wir die vielen Probleme dieser Menschen nicht lösen können, aber wir können ihnen nahe sein, ihre Freuden und Sorgen teilen. Das ist es, was wir seit unserer Ankunft versucht haben, in Gemeinschaft mit den verschiedenen kirchlichen Einrichtungen der Stadt.“
Eine Fokolarin stellte fest, dass es nicht immer einfach sei, die eigenen Denkkategorien zu ändern: „Wir machen uns oft vor, Antworten zu geben, aber wir sind es, die aus jeder Begegnung bereichert hervorgehen, durch die starke Präsenz Gottes, die sich überall zeigt: in der Natur, aber vor allem in den Menschen.“
Stärkung der Menschen und der Gesellschaft
In Juruti arbeiten die Fokolare mit den kirchlichen Einrichtungen zusammen, die sich für Entwicklung einsetzen. Der Kindergarten „Bom Pastor casulo“ ist einer der 24 Kindergärten der Stadt, der eine besondere pädagogische Linie verfolgt. Die Kinder sollen sich ihrer eigenen Kultur und Traditionen bewusst werden, einen Sinn für Gemeinschaft entwickeln und sich selbst und andere wahrnehmen. Dies ist eine wichtige Grundlage für eine ganzheitliche und personenzentrierte Erziehung. Das Krankenhaus „9 de Abril na Providência de Deus“ wird von der Bruderschaft „São Francisco de Assis na Provincia de Deus“ geleitet. Es versorgt die Bevölkerung der Stadt (ca. 51.000 Einwohner), der umliegenden Städte und der Flussgemeinden, wobei der Schwerpunkt auf denjenigen liegt, die sich die Pflege nicht leisten können. Die Apostel des Heiligsten Herzens Jesu wiederum leiten das Zentrum „Mutter Clelia“, in dem sie jährlich hundert junge Menschen aufnehmen, Möglichkeiten zur Berufsausbildung schaffen und zur persönlichen Entwicklung insbesondere von gefährdeten Jugendlichen beitragen.
Die Fokolar-Gemeinschaft arbeitet seit Jahren auch mit Kirchengemeinden und kirchlichen Organisationen zusammen. Als Margaret Karram sie und andere Gemeinschaften aus der Umgebung traf, dankte sie den Menschen für ihre Großzügigkeit, ihre Konkretheit im Leben des Evangeliums und ihre Gastfreundschaft: „Ihr habt in uns allen das Gefühl gestärkt, eine weltweite Familie zu sein. Auch wenn wir weit voneinander entfernt leben, sind wir durch dieselbe Gabe und Mission vereint: die Geschwisterlichkeit zu bringen, dorthin, wo wir leben, und in die ganze Welt“.
Förderung der Menschenwürde
Eine einstündige Bootsfahrt von Óbidos durch ein Netzwerk von Kanälen, die sich durch den Amazonaswald schlängeln, bringt uns zum Quilombo Pauxi Mocambo, einer indigenen Gemeinschaft. Sie ist mit Edsons Gemeinde verbunden. Er versucht, mindestens einmal im Monat dorthinzugehen, um die Messe zu feiern und, zusammen mit den Fokolaren, mit den Kindern zu teilen, ihnen zuzuhören und mit ihnen zu spielen. Die Gemeinschaft besteht aus etwa tausend Menschen, die, obwohl sie inmitten einer paradiesischen Natur leben, unter besonders nachteiligen Bedingungen leben. Isolation, Überlebenskampf, Gewalt, fehlende Gleichberechtigung, fehlender Zugang zu Bildung und medizinischer Grundversorgung sind die täglichen Herausforderungen, denen sich diese Flussgemeinschaften stellen müssen. Auch hier führt die Diözese Óbidos seit zwei Jahren ein Projekt mit dem Titel „Força para as mulheres e crianças da Amazônia“ durch. Es richtet sich an Frauen und Kinder und fördert eine ganzheitliche Ausbildung der Person in den Bereichen Spiritualität, Gesundheit, Bildung, Psychologie und wirtschaftliche Versorgung. Eine junge Mutter erzählte stolz von ihren Fortschritten im Hauswirtschaftskurs: „Ich habe viel gelernt und entdeckt, dass ich Fähigkeiten und Ideen habe.“
Sicherlich ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Bedürfnisse dieser Menschen. Jesús Morán sagte: „Es ist wahr, dass wir die vielen sozialen Probleme nicht lösen werden. Unsere Aufgabe, auch hier im Amazonasgebiet, ist es, die Herzen zu verändern und zur Einheit in der Kirche und in der Gesellschaft beizutragen. Was wir tun, ist sinnvoll, wenn die Menschen ihr Leben auf das Gute ausrichten. Darin besteht die wahre Veränderung.“
Den Fokolaren im Amazonasgebiet zuzuhören, verdeutlicht, dass Annahme, Austausch und Lernen die „evangeliumsgemäße Dynamik“ sind, die entsteht, wenn sich Menschen persönlich von Gott gerufen fühlen, sein Werkzeug zu sein, um „auf den Schrei des Amazonas zu hören“, wie Papst Franziskus in seinem außerordentlichen nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ schrieb, und zum Wachstum einer „Kultur der Begegnung hin zu einer ‚vielfältigen Harmonie'“ beizutragen.
Dieser Bericht ist Teil einer Reise von Margaret Karram und Jesús Morán in mehreren Etappen durch Brasilien. Weitere Berichte finden sich hier:
Etappe 4: Dreiländereck im Süden
Ein Beitrag von Stefania Tanesini. Fotos AdobeStock_366377200 SL-Photography, AdobeStock_603934433 Pro