Seit September 2023 leben ukrainische Geflüchtete in den beiden Gästehäusern in Ottmaring. Einblicke in das Miteinander.
„Wie eine große Familie. Frühere Bedenken sind wie weggeblasen …“
So lautete die Überschrift eines Berichts in der „Friedberger Allgemeinen“. Die Reporterin war am 5. März zu einer Bürgerversammlung ins Begegnungszentrum Ottmaring gekommen. Dazu hatten das Landratsamt und der Bürgermeister gemeinsam eingeladen. Es war eine Folgeveranstaltung zu jener im Mai 2023. Damals waren noch keine Bewohner in die beiden Gästehäuser des Begegnungszentrums eingezogen gewesen. Die Bedenken – vor allem von den Anwohnerinnen und Anwohnern außerhalb des Lebenszentrums – waren groß: Würde das gutgehen? So viele Fremde in dem kleinen Ort? Wie wäre das mit den Kindergartenplätzen, der Sicherheit und der Lärmbelästigung? Sachlich und ehrlich waren die politisch Zuständigen auf die Fragen eingegangen und hatten gern den Vorschlag zu einem Folgetreffen aufgenommen – um dann gemeinsam zu schauen: „Wie geht es mit den Geflüchteten in Ottmaring? Was läuft gut? Wo gibt es Handlungsbedarf?“
Am 19. September 2023 waren die ersten Geflüchteten dann angekommen. Inzwischen leben 66 Menschen aus der Ukraine in 30 Zimmern der beiden Häuser. Es sind Mütter mit Kindern, Familien, Frauen, Männer. Viele von ihnen kommen aus dem Osten der Ukraine, aus Städten wie Donezk, Saporischa, Kiew.
Sofort bildete sich ein „Helferkreis“ mit Interessierten aus dem Ökumenischen Lebenszentrum (ÖLZ) und aus dem Ort. Begleitet wird er von einer Mitarbeiterin der Stadt Friedberg, die auch Anregungen und Fragen aufnimmt und Hilfen vermittelt. Sehr hilfreich war dabei Wowa, der schon 2015 mit seiner Familie aus der Ukraine nach Friedberg gekommen ist und für Übersetzungen zur Verfügung steht, wie bei einem ersten Begegnungsabend mit den neuen Mitbewohnern. Über eine dann eingerichtete WhatsApp-Gruppe gibt er wichtige Infos direkt in Ukrainisch weiter.
Die Sprache ist und bleibt eine Herausforderung. Und bei den Alltagsbegegnungen rund um das Begegnungszentrum kommen – trotz der Sprachkurse und des ehrenamtlichen Unterrichts in Deutsch – dann auch Hände und Füße sowie Smartphones mit ÜbersetzungsApps zum Einsatz.
Aus dem Helferkreis haben einige ÖLZ-Bewohner dann schnell erste Kontakte geknüpft und die eine oder andere Not wahrgenommen. So konnte durch eine spontane „Ottmaringer Tafel“ einigen der neu Angekommenen für einige Zeit – und bis die formellen Bescheide für die finanzielle Unterstützung vorlagen – genügend Grundnahrungsmittel zur Verfügung gestellt werden. Im Advent gab es ein Angebot, das gern angenommen wurde: Nach Kaffee und Crepes wurden Sterne gebastelt. Das Ergebnis zierte dann die beiden Bettenhäuser. Zu Weihnachten bereitete ein Team aus ÖLZ-Bewohnern und Geflüchteten eine gemeinsame Feier am Heiligen Abend vor. Der Saal im Haus Paul wurde festlich geschmückt. Die Ukrainerinnen backten köstliche Kuchen. Sachspenden füllten über 50 Geschenketüten, die große Freude auslösten. Den Geflüchteten, die nicht an der Feier teilgenommen hatten, wurde dann jeweils eine Tüte vor die Tür ihres Zimmers gelegt.
Lina aus der Ukraine und Dora aus dem ÖLZ begrüßten gemeinsam. Bewegend das gemeinsame Gebet um den Frieden und besonders für die Ukraine. Bei Apfelpunsch und Gebäck saßen dann viele noch lange zusammen. Alle gingen so als „Beschenkte“ in den Heiligen Abend.
Eine Ukrainerin aus dem Team schrieb nach dem Fest: „Vielen Dank, dass ihr uns eine solche Freude gemacht habt. Besonders die kleinen Kinder waren voller Freude. Ich habe zum ersten Mal seit langer Zeit so viel Glück in ihren Augen gesehen. Wunderbare Geschenke und ein wunderbares Weihnachtsfest!“
Bei der Bürgerversammlung im März berichteten Dora Strugholtz und Gerhard Horneber von diesen Erfahrungen mit den neuen Mitbewohnern im ÖLZ. „Insgesamt erleben wir ein gegenseitiges Geben und Nehmen mit unseren ukrainischen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, darunter 14 Kinder und Jugendliche. Tatkräftig halfen sie uns etwa auch das viele Laub vom Vorjahr in den Außenanlagen zusammenzurechen und wegzufahren. Eine Gruppe von Ukrainerinnen bekochte 25 Gäste mit Gerichten aus ihrer Heimat. An den Tischen saßen wir gemischt und kamen – dank Englisch oder Übersetzungs-App – gut ins Gespräch.“
Die Stimmung im großen Saal ist im März anders als im Mai letzten Jahres.
„Die Nachfragen machen deutlich,“ so schreibt die Reporterin in ihrem Zeitungsbericht, „dass die Ottmaringer die Geflüchteten ins Herz geschlossen haben. Ein Anwohner bringt es auf den Punkt: ‚Es ist wie eine große Familie.’ Auch Bürgermeister Roland Eichmann verdeutlicht seine Anerkennung für die gute Gemeinschaft: ‚In Ottmaring entsteht eine neue Heimat für die Geflüchteten.’“
Zuletzt gab es am Gründonnerstag wieder einen gemeinsamen Moment: zu der traditionellen Agape-Feier des ÖLZ rund um eine Feuerschale im Freien waren auch die Ukrainer dazu gekommen. Inzwischen hat zudem das schöne Frühlingswetter für viele Begegnungen gesorgt: Es führt dazu, dass sich das Leben aller mehr nach draußen verlagert – und man begegnet sich rund um den Sandkasten oder auf dem Weg. Die ukrainischen Mitbewohner kommen immer mehr an. Welche Nöte, Ängste, Traumata und Sorgen sie im Herzen bewegen, können die ÖLZ-Bewohner bisher aber nur ahnen.
Ein Beitrag von Gabi Ballweg; Fotos: ÖLZ