Die Zonette Münster stellte sich bei einer Tagung in Warendorf dem Thema „Missbrauch (auch) in der Fokolar-Bewegung“.

Warendorf in Westfalen. Das Elsberg-Forum am Sonntag, den 21. Januar 2024.  Rund 50 Teilnehmer*innen sind gekommen. Der Titel der Tagung lautet: „Missbrauch geistlicher Autorität und sexualisierte Gewalt (auch) in der Fokolar-Bewegung“. Untertitel: Eine Annäherung.

In der Vorbereitung auf die Veranstaltung wird deutlich, dass das Thema emotional und vielschichtig ist. Es geht darum, Räume zu öffnen, um darüber ins Gespräch zu kommen. Es geht um die Bereitschaft, Menschen mit negativen Erfahrungen zu hören. Es geht darum, sich auf den Weg zu machen. 

Ursula Schmitt und Roberto Rossi, die beiden Delegierten, beschreiben, wie bereits seit Jahren dran gearbeitet wird, dass die Bewegung “ein sicherer Ort für Minderjährige und Schutzbefohlene“ sei. Das Ziel sei klar. “Wir haben uns verpflichtet, die Schulung zum Thema Schutz Minderjähriger und Schutzbefohlener für alle Mitglieder der Fokolar-Bewegung zu garantieren, und zwar im Lauf der nächsten zwei Jahre.“

Dr. Bernhard Deister übernimmt und erklärt die Grundlagen. Deister ist als Psychologe, Theologe und Leiter des Instituts für Spiritualität im Bistum Mainz ein Mann vom Fach. Für die Fokolar-Bewegung ist er als externer unabhängiger Beauftragter der Kommission gegen sexualisierte Gewalt tätig. Zudem ist er einer der Ansprechpersonen der Kontaktstelle gegen geistlichen Missbrauch und Machtmissbrauch. 

Seine Ausführungen machen zwei Dinge deutlich: es gibt klare Kriterien und Persönlichkeitsmerkmale, die den Machtmissbrauch fördern – und: die Deutungshoheit über das Geschehene liegt immer bei den Opfern.

Der Tag versteht sich als Auftakt. Es ist ein Anfang, dieses Thema Missbrauch „an uns heranzulassen“. Wie es weitergeht? Es könnte sein, dass es Sinn macht, die Gedanken, die Jeder und Jedem an diesem Tag gekommen sind, einzubringen. Darin steckt viel Energie. 

Zwei Pausenbegegnungen in Warendorf

Tom

„Wenn ich manche Worte höre, machen die was mit mir“, erzählt mir Tom (Name von der Redaktion geändert)in der ersten Kaffeepause. „Missbrauch ist so ein Wort. Da zucke ich innerlich ein Stück zusammen.“ 

Wir kennen uns aus gemeinsamen Zeiten in der Fokolar-Bewegung Anfang der 1970-er Jahre. Er war damals jahrelang verantwortlich für Jugendgruppen. „Ich habe bei der Frage nach meiner Berufung erlebt, wie ich mich von einem Fokolar massiv unter Druck gesetzt fühlte“, erinnert er sich. „Oder ein anderer Moment. Ein anderer Fokolar. Wir Gen waren zusammen auf einem Kongress in der Nähe von München.“ Ende der 70-er Jahre war das. Der Fokolar aus der Gründerzeit der Fokolar-Bewegung hatte rund 100 männliche Jugendliche vor sich. Im Zentrum seiner Eröffnungsrede stand die „Entscheidung für Gott“. „Jeder sollte sich in der Kapelle nebenan vor Gott stellen und ihm sein Ja geben. Wer das nicht könne, solle seiner Wege gehen.“ 

Tom nimmt einen Schluck Kaffee. „Bis auf einen aus unserem Team, sind wir alle geblieben,“ fährt er fort. „Aber der eine ist gegangen. In der Euphorie dieser Tage und verbunden mit dem Gefühl, zu einer auserwählten Schar zu zählen, habe ich meinen Schmerz über seinen Weggang verdrängt. Tief in mir drin ist er bis heute lebendig.“

Ich nehme mir eine Flasche Apfelschorle. Wir gehen zu einem der Stehtische. „Ich weiß, was für andere mir anvertraute Menschen gut und richtig und in manchen Momenten möglicherweise der „Wille Gottes“ sein könnte. Diese Gedanken waren in jener Zeit gegenwärtig in mir.“ Tom wirkt nachdenklich. „Heute begleitet mich die Frage, inwieweit ich bei meinen Freunden und Mitstreitern unter den Jugendlichen der Fokolar-Bewegung damals in den 80-er und 90-er Jahren in Köln möglicherweise Grenzen verletzt habe und meine Autorität als Verantwortlicher missbraucht haben könnte.“

Pause. „Ich als Täter? Möglich. Ich als Opfer? Sicher. Und das alles im Namen des Herren und im Namen Chiaras. Dabei ist mir klar“, sagt Tom, „die Verantwortung für mein Handeln liegt bei mir.“

Sabine

In der Pause treffe ich Sabine (Name von der Redaktion geändert). Sie hat jahrelang im Süden Deutschlands gelebt. Wir erinnern uns an gemeinsame Erlebnisse bei den Jugendlichen der Fokolar-Bewegung Ende der 70-er Jahre. Gemischte Gefühle an eine gemeinsame Fahrt nach Heidelberg zu einem ZDF-Dreh wegen unserer allzu vorgefertigten Antworten gehören dazu. Sie beschreibt den Moment ihres Abschieds vom Fokolar, in dem sie zu der Zeit verantwortlich war. „Die Verantwortliche sagt an, wo es langgeht“ – dieses damalige „Von-oben-nach-unten“ in ihrer Lebensgemeinschaft wollte sie verändern, gemeinschaftliche Verantwortung fördern. Sie suchte den Kontakt zu ihren Verantwortlichen am Zentrum. Die wiesen ihr Ansinnen kategorisch mit dem Hinweis zurück, dass sie das Ideal nicht authentisch vertrete. „Einen solchen übergriffigen Führungsstil konnte ich mit mir und meinem Gewissen nicht länger vereinbaren“, berichtet sie. Sie verließ das Fokolar. Und sie war nicht die Einzige.

Ein Beitrag von Hubert Schulze Hobeling. Fotos von Tobias Klodwig.